TEENpreneurS

Fragestellung

Wie wäre es, wenn Jugendliche das Lernen einer fremden Sprache als etwas Soziales, Verbindendes erleben - anstatt als schwierige Materie voller Fallstricke? Wie wäre es, wenn sie diese fremde Sprache aus einer Notwendigkeit heraus lernen, um sich mit anderen (die eine andere Muttersprache haben) zu unterhalten, anstatt um einen standardisierten Test zu bestehen?

Wie wäre es, wenn sie dabei eigene Ideen verwirklichen, Ideen die unser aller Leben ein bisschen besser machen könnten?

Von diesen Fragen liess ich bei meinem Projekt "TeenPreneurs" leiten, welches ich im HS 2020/21 mit zwei 8.Klassen (13-15 Jährige, Realniveau) im Rahmen meines Englischunterrichts durchführte und welches von der Initiative educreators gefördert wurde. Der folgende Artikel wurde im Sammelwerk "Agilität und Bildung" veröffentlicht. 

 

Hintergrund

Non scholae sed vitae discimus – auf Deutsch: Nicht für die Schule, sondern für das Leben lernen wir, so jedenfalls lautet der fromme Wunsch seit Seneca, der viele Fragen aufwirft: Wie genau soll dies geschehen, wenn die allermeisten Lehrpersonen aus der Schule über die PH in die Schule kommen? Was bedeutet das heute, in einer Welt des technologischen Fortschritts, in der ständiger Wandel, schwindende Lebensgrundlagen sowie eine schwer vorhersehbare Zukunft Faktum sind? Was heisst es weiter für eine Welt, in der die Hälfte der Bevölkerung mit dem Internet verbunden ist? 

Es ist unsere Pflicht, hier Antworten zu suchen, es ist unsere Pflicht nachfolgende Generationen bestmöglich auf ihr Leben vorzubereiten und eines vorweg: Einfach Wandtafel und OHP mit Tablets auszuwechseln greift zu kurz.

 

Schule muss – da sind sich Expert.innen einig – sog. Future Skills aka Kollaboration, Kreativität, Kommunikation und Kritisches Denken fördern. Schule muss also weg von der reinen Inhaltsvermittlung hin zur Ermöglichung. Bildungsinhalte sollen für Lernende real, relevant und anwendbar sein. Lehrpersonen müssen folglich von Bewahrer.innen des Wissens zu Förder.innen von individuellem Wachstum und Entwicklung werden, sie sollten Kinder darin unterstützen leidenschaftliche Lernende zu sein und zwar ihr Leben lang.

Die UNESCO beschreibt das lebenslange Lernen als „(u)nabdingbare Voraussetzung für die Beseitigung von Armut und Hunger sowie Schlüssel zur Wahrung von Frieden und Demokratie”.

Die oben erwähnten Future Skills (Problemlösung, Kritisches und Kreatives Denken, Teamarbeit und Kommunikation) sind typische unternehmerische Fähigkeiten. Ideen zu kommunizieren, Probleme zu lösen, über den Tellerrand hinaus zu schauen und die Leidenschaften zum Leben zu erwecken sind Fähigkeiten, die Lernende unabhängig von ihrem Bildungsweg benötigen, und Fähigkeiten, die helfen werden, in der Arbeitswelt des 21.Jahrhunderts. Es macht also Sinn Unternehmer:innentum und v.a. das mind-set dazu in die Schule zu bringen. Wie dies bereits im Kleinen geschehen kann, zeige ich im Folgenden auf. Ich berichte über das Projekt TEENpreneurs, welches ich im Rahmen meines Englischunterrichts mit zwei Realklassen im achten Schuljahr durchführte. Das Projekt wurde von der Initiative educreators als innovativ ausgewählt und unterstützt. Das Projekt könnte ebenso gut im Deutsch-, Französisch- oder NMG Unterricht durchgeführt werden, idealerweise sowieso fächerübergreifend, klassen- und schulhausübergreifend.

 

Durchführung

Meine Aufgabenstellung an die Jugendlichen zu Beginn des Projekts lautete:

Create your own Start-Up that in some way tackles one of the biggest global problems we are facing right now.

 

Als Einstieg in die Thematik präsentierte ich den Lernenden dieses Video und die "Earth-Saving-Super-Teens“ von Lesein Mutunkei über Chiara Sacchi bis hin zu Adora Svitak und ihren wunderbren TED talk. Ich liess die Jugendlichen eine:n dieser Teens wählen und stellte sie vor folgende Herausforderung:

 

Welcome to the Top 20 under 20 show. We are going to list the most influential Teens of our times, the ones that did the most for our environment and species. We’ll rate them according to their achievements. There’s a monetary prize for number one. You’re the advocates for the Teen you chose, I‘m the committee. Convince me that your candidate is the best one to vote for.

 

Die Jugendlichen lieferten sich einem Argumentationsbattle, jede:r wollte gewinnen, der Wettkampfgedanke funktioniert immer. Ich wollte sie jedoch über das Konkurrenzdenken hinaustragen. Zukunft braucht Kollaboration, gemeinsame Visionen, Gleichheit bei Diversität, gemeinsame Problemlösung und Netzwerkdenken. Ranglisten und Wettbewerbe, bei denen es darum geht, alle anderen auszubooten, weil es am Schluss nur eine geben kann, sind dazu wenig geeignet.

Also lautete mein Einwand:

Do you see a way all of those Teens could cooperate with each other and share the prize?

 

Die Begeisterung für meinen Vorschlag hielt sich in Grenzen. Gewinnen oder gar nichts lautete die Devise und so machte am Ende Kiara Nirghin das Rennen, während ich im Stillen für mich überlegte, ob der Wettkampf dem Menschen angeboren oder anerzogen wurde und wie wir dieses schneller, höher, weiter hinter uns lassen könnten...

 

In einem nächsten Schritt sammelten die Jugendlichen sämtliche Herausforderungen, die unser Menschsein heute stark bestimmen und wählten daraus jene aus, die ihnen persönlich am nächsten geht. Anschliessend mussten sie sich mit ein bis max. vier Leuten themenspezifisch zusammen schliessen:

Die so entstandenen Themengruppen waren:

-          mentale Gesundheit/Depression

-          Klimawandel

-          Plastikverschmutzung

-          Abholzung des Regenwalds

-          Rassismus

-          Fake News

-          Corona

-          (Cyber-)Mobbing

 

In den Folgelektionen ging es darum, die Herausforderung wirklich zu verstehen, ihre Wurzel zu erfassen. Wild wurde alles notiert, was zu dem jeweiligen Thema in den Sinn kann. Nach zwanzig Minuten kamen die Jugendlichen zusammen, tauschten sich über ihr persönliches Brain-Storming aus und hielten als Gruppe die wichtigsten Ergebnisse fest. Als Dokumentationsplattform verwendeten wir wechange.de, eine deutsche Projektmanagement-Seite, deren Sever mir erneuerbaren Energien betrieben wird. Zudem eröffnet wechange die Möglichkeiten, mit anderen Menschen in Kontakt zu kommen, die ähnliche Projekte verfolgen und weil die oftmals nicht deutscher Muttersprache sind, wird die Verwendung von Englisch als lingua franca nötig.

 

Ein weiterer Bestandteil des Projekts ist Empathieschulung. Die Jugendlichen führten Interviews auf der Strasse durch, erstsellten Beobachtungsbögen und lernten, ihre Stakeholder zu identifizieren.

Synthese, Ideenfindung und Prototyping passierte dann im EduLab. In einem Design Thinking Workshop wurden die Jugendlichen an ihren Prototyp herangeführt. Sie erhielten eine kurze Einführung ins Thema Design-Thinking, widmeten sich dem ProblemStatement und setzten sich gezielt mit der Frage auseinander, warum denn das globale Problem genau ein Problem ist. Aus den Erkenntnissen des Workshops sind Lösungs-Skizzen entstanden, die die Jungendlichen ganz persönlich tangieren. Und nach einer intensiven Prototyping Session am Nachmittag, wurden die neuen Business-Ideen gepitched.

Einen kleinen Eindruck darüber, wie dies geschah, gibt dieses Video hier. So entstand beispielsweise die Idee einer App, die Jugendlichen in Not helfen soll, eine soziale Aufräumaktion gegen Plastikmüll, die mit grossen Supermarktketten kooperieren will, eine Uhr mit inkludiertem Desinfektionsmittel gegen Coronaviren, ein Businessplan für ein veganes Fast-Food-Lokal und ein Verein, der gegen Rassismus mobilisieren will.

Zurück in der Schule ging es ans Testen. Via wechange, Flipgrid auf der Strasse und im Bekanntenkreis konfrontierten die Jugendlichen Personen mit ihrem Prototyp und nutzen das Feedback, um ihre Idee zu evaluieren und weiter zu entwickeln. Via Design Education, einem Slack channel mit über 400 Mitgliedern in 16 Zeitzonen, suchte ich eine Partnerklasse. Ziel war, dass die Jugendlichen sich gegenseitig ihre Ideen vorstellen können und Erfahrungen austauschen. Die Notwendigkeit, Englisch zu verwenden, ist somit gegeben.

 

Mit dem Geld, das ich von educreators erhalten habe, habe ich die Workshops im EduLab bezahlt. Den Rest konnten die Jugendlichen verwenden, um ihre Projekte umzusetzen. Jene die mehr Geld benötigten, mussten sich selbst überlegen, wie sie dieses Budget erreichen können. Ich war da, um zu coachen und zu beraten.

 

Fazit

Ausnahmslos alle waren immer wieder mit vollem Eifer bei der Sache, übten sich in Kooperation und Kollaboration (digital und analog), haben sich als selbstwirksam erfahren, haben erfolgreich eine Herausforderung bewältigt und sich selbst Ziele gesteckt, haben ihre Kommunikationsfertigkeiten geschult und gelernt mit unklaren, sich änderndem Kontext umzugehen. Alle haben Englisch gesprochen, verstanden und geschrieben, neue Vokabel im Kontext begriffen und angewandt, aus einer Notwendigkeit heraus, nicht wegen eines Vokabeltests.

 

Insofern wird dieses agile Projekt auch dem LP 21 gerecht, der Bildung als einen offenen, lebenslangen und aktiv zu gestaltenden Entwicklungsprozess des Menschen sieht. Ich wünsche mir mehr solcher Projekte und stehe gerne mit Rat und Tat zur Seite! Meine Unterrichtsunterlagen findet ihr auf TeachOZ zur freien Verwendung.

 

Unser Hirn ist zeitlebens lernfähig, anpassbar, neuroplastisch. Es speichert jedoch nicht einfach, was ihm begegnet, sondern das, was es mit Begeisterung lernt. Positive Emotionen sind somit eine neurobiologische Notwendigkeit, wenn Lernen nachhaltig sein soll. Unser Hirn ist in erster Linie nicht ein Speicherorgan, sondern ein Filterorgan. Es filtert all das weg, was nicht bedeutsam ist. Lasst uns gemeinsam dafür sorgen, dass schulisches Lernen bedeutsam ist!

 

Verwendete Literatur:

Amson-Bradshaw, Georgia. -  This book thinks you're an inventor : experiment, imagine, create / illustrated by Harriet Russell ; [text by Georgia Amson-Bradshaw] : fill-in pages for your ideas. -  London : Thames & Hudson, 2020

Dehaene, Stanislas. -  How we learn : the new science of education and the brain / Stanislas Dehaene. -  London : Allen Lane, 2020

 

 

Auszug aus dem  Lehrplan 21:

Bildung ist ein offener, lebenslanger und aktiv gestalteter Entwicklungsprozess des Menschen.

Bildung ermöglicht dem Einzelnen, seine Potenziale in geistiger, kultureller und lebenspraktischer Hinsicht zu erkunden, sie zu entfalten und über die Auseinandersetzung mit sich und der Umwelt eine eigene Identität zu entwickeln.

Bildung befähigt zu einer eigenständigen und selbstverantwortlichen Lebens­führung, die zu verantwortungsbewusster und selbstständiger Teilhabe und Mitwirkung im gesellschaftlichen Leben in sozialer, kultureller, beruflicher und politischer Hinsicht führt.